Im Herbst steht eine weitreichende steuerpolitische Entscheidung an: die Volksabstimmung über die Abschaffung des sogenannten Eigenmietwerts. Das Thema beschäftigt seit Jahren Politik, Wirtschaft und Fachverbände – und betrifft über eine Million Privathaushalte in der Schweiz direkt.
Der Eigenmietwert ist ein fiktives Einkommen, das Hauseigentümer auf ihrem selbstbewohnten Eigenheim versteuern müssen. Im Gegenzug können Hypothekarzinsen sowie gewisse Unterhalts- und Renovationskosten steuerlich abgezogen werden. Mit der geplanten Abschaffung dieser Regelung würde ein System entfallen, das jahrzehntelang fest im Steuerrecht verankert war.
Die Ausgangslage: Hypothekarzinsen im Fokus
In der öffentlichen Diskussion wird die Frage, ob und in welchem Ausmass Hauseigentümer von der Abschaffung profitieren, fast ausschliesslich an den Hypothekarzinsen festgemacht.
- Hohe Hypothekarbelastung: Wer eine grosse Hypothek hat und entsprechend hohe Zinsen zahlt, kann diese heute von der Steuer abziehen. Fällt diese Möglichkeit mit der Reform weg, stehen diese Eigentümer auf den ersten Blick schlechter da.
- Geringe oder keine Hypothek: Eigentümerinnen und Eigentümer, die ihr Haus bereits weitgehend oder vollständig abbezahlt haben, versteuern zwar derzeit einen Eigenmietwert, können jedoch kaum noch Zinsabzüge geltend machen. Sie würden nach einer Abschaffung in der Regel entlastet.
Diese einfache Rechnung ist eingängig – greift jedoch zu kurz.
Der oft vergessene Faktor: Unterhaltskosten
Weniger Beachtung findet ein anderer zentraler Aspekt: die Abzugsfähigkeit von Unterhaltskosten. Heute können Eigentümer den Unterhalt und die Renovation ihrer Liegenschaft steuerlich absetzen – sei es über Pauschalen oder über den Nachweis effektiver Kosten.
Gerade bei älteren Häusern sind diese Ausgaben erheblich. Neue Heizsysteme, energetische Sanierungen, Dachsanierungen oder Fassadenrenovationen können schnell fünf- oder gar sechsstellige Beträge erreichen. Mit der Abschaffung des Eigenmietwerts würde auch dieser Abzug wegfallen.
Die Konsequenz:
- Eigentümer älterer Immobilien werden tendenziell zu den Verlierern zählen, da sie die hohen Unterhaltskosten künftig allein tragen müssen, ohne steuerliche Entlastung.
- Eigentümer neuerer Gebäude mit geringem Unterhaltsbedarf haben diesen Nachteil nicht – für sie überwiegen möglicherweise die Vorteile.
Auswirkungen auf Bauwirtschaft und Handwerk
Die steuerliche Abzugsfähigkeit von Unterhaltskosten ist nicht nur für Eigentümerinnen und Eigentümer von Bedeutung. Sie schafft auch Anreize für Investitionen in die Gebäude und den Unterhalt. Fällt dieser Anreiz weg, könnte dies mittel- bis langfristig spürbare Folgen für die Bauwirtschaft, Renovationsbetriebe und Handwerker haben. Eine geringere Nachfrage nach Sanierungen und Modernisierungen würde nicht nur die Eigentümer selbst belasten, sondern auch ganze Branchen.
Fazit: Kein eindeutiger Gewinner
Die geplante Abschaffung des Eigenmietwerts wird unweigerlich Gewinner und Verlierer hervorbringen:
- Gewinner sind vor allem Eigentümer mit geringen Hypotheken und wenig Unterhaltsbedarf.
- Verlierer sind in erster Linie Eigentümer älterer Liegenschaften sowie Bau- und Handwerksbetriebe, die von Renovationsaufträgen leben. Verlierer sind aber auch neue Liegenschaftseigentümer mit einer hohen Hypothek – etwa Familien, die sich für den Erwerb eines Eigenheims verschulden müssen. Zwar wird oftmals argumentiert, dass bei einem Wegfall der Schuldzinsabzüge die Motivation steigt, die Hypotheken rascher oder höher zu amortisieren und damit die Verschuldung abzubauen. Dieses Argument funktioniert in der Praxis in den seltensten Fällen: In der Regel dürften Neuerwerber einer Liegenschaft nicht über zusätzliche Mittel verfügen, um die Hypothek substanziell noch höher zu amortisieren.
Für Stimmbürgerinnen und Stimmbürger lohnt es sich daher, bei der Abstimmung nicht nur den aktuellen Hypothekarzins im Blick zu haben. Wer ein Haus besitzt – oder eines erwerben möchte – sollte auch die langfristigen Unterhaltskosten und deren steuerliche Behandlung in die eigene Kalkulation einbeziehen.