Was ist ein Gesamtarbeitsvertrag (GAV)?

Wie gut kennen Sie sich im Gesamtarbeitsvertrag (GAV) aus? Was ist ein GAV und welche Arbeitsverhältnisse unterstehen dem GAV? Antworten dazu gibt es in diesem Beitrag.

Der GAV ist mehr als ein gewöhnlicher Vertrag und die konkrete Rechtsnatur des GAV ist unter Juristen umstritten. Foto: Alexander Klaus/pixelio.de

Der GAV ist grundsätzlich ein privatrechtlicher Vertrag und beruht folglich auf der Willensübereinkunft von mindestens zwei Parteien. Die Vertragsparteien sind einerseits die Arbeitgeber oder deren Verbände und andererseits Gewerkschaften. Im Sinne von Art. 356 OR enthält der Gesamtarbeitsvertrag GAV Bestimmungen über Abschluss, Inhalt und Beendigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer (normativer Teil) und anderen Bestimmungen, die das Arbeitsverhältnis betreffen (indirekte schuldrechtliche Bestimmungen) sowie Rechte und Pflichten der Vertragsparteien untereinander (schuldrechtlicher Teil). Ferner kann der GAV Bestimmungen über die Kontrolle und die Durchführung des Vertragsinhaltes enthalten. Der GAV ist jedoch mehr als ein gewöhnlicher Vertrag und die konkrete Rechtsnatur des GAV ist unter Juristen umstritten.

Einerseits besitzt der GAV Gesetzescharakter, da die GAV Parteien objektives Recht schaffen und diesbezüglich die Rolle des Gesetzgebers einnehmen. Die gesetzgeberähnliche Macht der Vertragsparteien des GAV beruht auf einer ausdrücklichen Ermächtigung durch das Gesetz (AVEG[1] oder Art. 356 ff. OR).

Andererseits ist der GAV primär einen Vertrag zugunsten Dritter, d.h. die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften schliessen als Stellvertreter zugunsten der beteiligen Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden einen Vertrag. Der GAV enthält aber auch Bestimmungen zu Lasten der beteiligten Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden. Folglich wäre es auch ein Vertrag zu Lasten Dritter, was unserer Rechtsordnung jedoch fremd ist.

Der GAV ist auf jeden Fall keine neue Erscheinung; gemeinschaftliche Regelungen von Arbeitsbedingungen lassen sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Doch erst in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts wuchsen die Tarife im Zuge des Aufbaus gesamtschweizerischen Verbände zu regionalen oder gesamtschweizerischen Gesamtarbeitsverträgen heran. Am 28. September 1956 (neuster Stand 1. Januar 2016) trat das Bundesgesetz über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (AVEG) in Kraft.

Das AVEG untermauert den gesetzlichen Charakter des GAV. Die Anwendbarkeit des GAV wird nicht mehr an eine freiwillige Verbandsmitgliedschaft geknüpft, sondern er wird durch einen öffentlich-rechtlichen Akt zwingender Bestandteil des Arbeitsvertrages, ob dies dem Willen der beteiligten Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden entspricht oder nicht.

Somit ist eine Allgemeinverbindlicherklärung für sämtliche Betriebe, welche nicht einem Arbeitgeberverband angeschlossen sind von grosser Wichtigkeit und sollte stets beachtet werden.

Das AVEG wird oft im Zusammenhang mit den flankierenden Massnahmen erwähnt. Das Gesetz hatte jedoch schon vor den flankierenden Massnahmen bestand; die Kontrollen wurden im Zusammenhang mit den flankierenden Massnahmen jedoch intensiviert und das AVEG erweitert.

Auf welche Arbeitsverhältnisse ist ein GAV anzuwenden und weshalb?

Um zu prüfen ob ein GAV angewendet werden muss, ist immer zu prüfen ob ein Betrieb einem GAV unterstellt ist und erst in einem zweiten Schritt ob der Arbeitnehmende auch dem GAV untersteht. Ein Arbeitsverhältnis kann meiner Meinung nach aufgrund 4 Tatbeständen einem GAV unterstellt sein:

  1. Der Betrieb ist Mitglied eines Arbeitgeberverbandes und der Verband ist Vertragspartei eines GAV.
  2. Der Betrieb hat seinen Sitz im räumlichen Geltungsbereich eines allgemein verbindlich erklärten GAV und erfüllt dessen Anforderungen an den betrieblichen Geltungsbereich.
  3. Der Betrieb führt Tätigkeiten im Gebiet eines räumlichen Geltungsbereichs eines allgemein verbindlich erklärten GAVs aus.
  4. Freiwillige Unterstellung durch Ausdruck des Vertragswillens auf dem Einzelarbeitsvertrag.

1. Unterstellung aufgrund der Verbandsmitgliedschaft

Durch die Verbandsmitgliedschaft mit dem vertragsschliessenden Verband hat der Mitgliedbetrieb aufgrund der Stellvertreterwirkung dem GAV zugestimmt. Dasselbe gilt für die Arbeitnehmenden, welcher Mitglied einer Gewerkschaft sind, auch sie haben aufgrund der Stellvertreterwirkung dem GAV zugestimmt.

Um diese Problematik zu umgehen, haben in der Praxis die meisten GAVs eine Ausdehnungsklausel, welche vorsieht, dass sich der GAV auf alle Arbeitnehmenden (auch nicht Gewerkschafter) des Betriebes oder eines bestimmten Betriebsteils erstreckt. Im GAV des Schreinergewerbes steht z.B. unter dem persönlichen Geltungsbereich: „Die Bestimmungen dieses Gesamtarbeitsvertrages gelten für alle Arbeitnehmenden, die in dem Betrieben oder Betriebsteilen (…) beschäftigt werden.“

Zudem umschreiben sämtliche mir bekannten GAV innerhalb des persönlichen Geltungsbereichs, welche Arbeitnehmenden vom GAV wieder ausgeschlossen werden.

Regelmässig anzutreffen ist, dass Arbeitnehmende mit geschäftsleitenden Funktionen, kaufmännisches und Verkaufspersonal oder Lehrlinge nicht dem GAV unterstellt sind. In diesem Sinne wird die Ausdehnungsklausel wieder eingeschränkt.

Folglich ist primär zu prüfen, ob der Betrieb und sekundär, ob der Arbeitnehmende dem GAV untersteht. Diese Vorgehensweise gilt auch für die folgenden zwei Varianten.

2. Sitz innerhalb eines allgemeinverbindlich erklärten GAV

Gemäss Art. 1 AVEG kann der Geltungsbereich eines GAV auf Antrag aller Vertragsparteien durch Anordnung der zuständigen Behörde (Allgemeinverbindlicherklärung) auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer des betreffenden Wirtschaftszweiges oder Berufes ausgedehnt werden. In Art. 4 AVEG wird nochmals explizit erwähnt, dass die Bestimmungen eines allgemeinverbindlich erklärten GAV auch für Nichtverbandsmitglieder gelten soll.

Diese Bestimmung macht insofern Sinn, da der Gesetzgeber versucht gleich lange Spiesse im Wettbewerb zu schaffen. Kein Betrieb soll sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen können, indem er zu Arbeitsbedingungen unter den im GAV vorgeschriebenen Mindestanforderungen arbeiten lässt.

Dies bedeutet konkret, dass sämtliche Betriebe, welche den betrieblichen und räumlichen Geltungsbereich eines allgemeinverbindlich erklärten GAV erfüllen, dem GAV unterstellt sind und sämtliche Bedingungen zwingend einzuhalten haben.

Der räumliche und betriebliche Geltungsbereich eines GAV ist grundsätzlich in den ersten Artikeln geregelt. Während der räumliche Geltungsbereich eine Region geografisch definiert (z.B. Kanton Aargau, Solothurn, Zug, Luzern und Zürich), ist der betriebliche Geltungsbereich die Umschreibung von ausgeführten Tätigkeiten. Die Unterstellung aufgrund der betrieblichen Zugehörigkeit kann in bestimmten Einzelfällen komplexe Abklärungen erfordern, wobei nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung die effektive Tätigkeit und das Gepräge des Betriebes massgebend ist.

In den meisten Fällen sollte die Unterstellung jedoch aufgrund der Umschreibung des betrieblichen Geltungsbereichs klar sein.

Wichtig ist an dieser Stelle noch anzumerken, dass der Betrieb nicht informiert wird, dass er aufgrund seiner Tätigkeit einem GAV unterstellt wird. Der Betrieb muss von sich aus erkennen, ob ein GAV anzuwenden ist. Auch diesbezüglich wird der GAV einem Gesetz gleichgestellt.

3. Der Betrieb führt Tätigkeiten im räumlichen Geltungsbereich eines allgemeinverbindlich erklärten GAV aus.

Führt ein Nichtverbandsmitglied Arbeiten in einem Gebiet aus, in welchem ein allgemeinverbindlicher GAV gilt, so hat der Betrieb den GAV für diesen Einsatz anzuwenden.

Diesbezüglich kann primär auf die Ausführungen von unter Punkt 2 bezüglich des regionalen und betrieblichen Geltungsbereichs eines allgemeinverbindlich erklärten GAV verwiesen werden. Oft sind die GAV nicht national ausgestaltet, sondern umfassen ein Gebiet von verschiedenen Kantonen und in seltenen Fällen auch nur eine Stadt wie bspw. der GAV des Gipsergewerbes der Stadt Zürich.

4. Freiwillige Unterstellung mit dem Arbeitsvertrag

Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben willentlich einen GAV zum Vertragsbestandteil eines Einzelarbeitsvertrages gemacht und diesen Willen im Arbeitsvertrag zum Ausdruck gebracht.

Fazit:

Prüfen Sie, ob Ihr Betrieb einen GAV anzuwenden hat, weil Sie Mitglied bei einem Arbeitgeberverband sind, ein GAV in Ihrer Branche allgemeinverbindlich erklärt worden ist oder Sie in einer Region tätig sind, welche innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines allgemeinverbindlich erklärten GAV liegt.

Sämtliche national allgemeinverbindlich erklärten GAV finden Sie unter folgendem Link

Gelangt ein GAV zur Anwendung, prüfen Sie, für welche Arbeitnehmenden Sie diesen GAV anzuwenden haben.

Mehr zum Thema Gesamtarbeitsverträge folgt im nächsten Beitrag.

 

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