Das Obligationenrecht erlässt bezüglich der Arbeitszeit keine Einschränkungen. Es könnten demnach Arbeitszeiten von wöchentlich 70 Stunden oder von monatlich 5 Stunden vereinbart werden.
Der Gesetzgeber schränkt jedoch mit dem Arbeitsgesetz (ArG) und seinen fünf Verordnungen (ArGV) diese uneingeschränkte Vertragsfreiheit ein. Dabei wurde in weiser Voraussicht versucht, den Arbeitnehmer vor zu starker Arbeitsbelastung zu schützen.
In Art. 9 ArG wird die wöchentliche Höchstarbeitszeit festgelegt. Arbeitnehmende in industriellen Betrieben, Büropersonal, technische und andere Angestellte, mit Einschluss des Verkaufspersonals in Grossbetrieben des Detailhandels dürfen wöchentlich 45 Stunden arbeiten. Alle übrigen Arbeitnehmende dürfen wöchentlich 50 Stunden arbeiten. Weshalb der Gesetzgeber die Arbeitnehmer des Gewerbes und des Gesundheitswesens längere Arbeitszeit als dem Büropersonal zumutet, entzieht sich meiner Logik; ist jedoch nicht Gegenstand vorliegender Abhandlung.
Arbeitet ein Arbeitnehmender nun mehr als die in Art. 9 ArG vorgegebener Höchstarbeitszeit, wird die Mehrarbeit als Überzeit qualifiziert und ist im Sinne von Art. 13 ArG mit Freizeit zu kompensieren oder auszubezahlen. Die Auszahlung hat ab der 60. Überzeitstunden mit einem Zuschlag von 25% zu erfolgen.
Sämtliche mir bekannte Gesamtarbeitsverträge legen die Höchstarbeitszeit fest. Nachfolgend werden zwei Beispiele aufgeführt:
– Art. 7 GAV Schreiner: „Die Jahresarbeitszeit beträgt brutto 2’164 pro Jahr, durchschnittlich 180.33h pro Monat (2164/12 Monate) und durchschnittlich 41.5h pro Woche (2164/52.14 Wochen)
– Art. 8.3 GAV Maler und Gipser: „Die jährliche Höchstarbeitszeit beträgt für das Jahr 2016 brutto 2088 Stunden; Berechnungsgrundlage: 261 Arbeitstage x 8 Stunden. Zudem wird in 8.2 GAV Maler und Gipser geregelt, dass die tägliche durchschnittliche Arbeitszeit (Montag bis Freitag) 8 Stunden beträgt. Dies ergibt im Durchschnitt 40 Stunden pro Woche.
Wird die im GAV vorgeschriebene Arbeitszeit überschritten, gilt die Mehrarbeit nach Art. 321c Abs. 1 OR als Überstunden. (1) An dieser Stelle ist noch darauf hinzuweisen, dass nach
Art. 321c Abs. 2 OR explizit das Einverständnis des Arbeitnehmenden notwendig ist, um Überstunden mit Freizeit zu kompensieren. Weiter ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 361 OR eine Abweichung von Art. 321c OR mittels GAV nicht möglich ist. Folglich dürften GAV nicht vorschreiben, dass Überstunden primär mit Freizeit gleicher Dauer auszugleichen sind. Diese Formulierung ist jedoch häufig in Gesamtarbeitsverträgen anzutreffen.
Wichtig ist meiner Meinung nach zu wissen, dass Überstunden nur mit dem Einverständnis des Arbeitnehmers mit Freizeit von gleicher Dauer kompensiert werden können. Liegt kein Einverständnis vor, sind die Überstunden auszubezahlen. Dies wurde auch durch das Bundesgericht bestätigt. (2)
In der Praxis stellen wir bezüglich im GAV vorgeschriebener Bruttoarbeitszeit häufig zwei verschiedene Verfehlungen fest, welche wir nachfolgend veranschaulichen:
Ein Betrieb vereinbart im Einzelarbeitsvertrag schriftlich mit dem Arbeitnehmenden eine Arbeitszeit, welche über der im GAV vorgeschriebener Arbeitszeit liegt. Gemäss Art. 357 Abs. 2 OR sind Abreden, die gegen die Bestimmungen des GAV verstossen nichtig und werden durch die Bestimmung des GAV ersetzt. (3) Infolge dessen wird die Bestimmung über die vertragliche Arbeitszeit ersetzt durch der Arbeitszeit nach GAV.
Nun erarbeitet der Arbeitnehmende Überstunden, ohne dass der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer davon Kenntnis besitzt. Folglich werden diese Überstunden auch nicht separat entschädigt oder mit Freizeit kompensiert.
Im Falle einer GAV Lohnbuchkontrolle würden diese erarbeiteten Überstunden als Lohnverfehlung festgestellt. Auch kann bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten die Rechtschutzversicherung oder der Anwalt des Arbeitnehmers dies feststellen und während 5 Jahren einfordern.
Der Betrieb kennt den GAV und vereinbart mit seinem Arbeitnehmer eine Arbeitszeit, welche mit der Bruttoarbeitszeit des anwendbaren GAV übereinstimmt. Aufgrund saisonalen Schwankungen und auf Bitte der Arbeitnehmenden werden die Stunden Ende Monat mit den Zuschlägen für Feiertage, Ferien und Anteil des 13. Monatslohnes ausbezahlt. Die Auftragslage ist sehr gut und der Betrieb lässt seine Arbeitnehmenden, die im GAV vorgesehene Arbeitszeit arbeiten und zahlt die Stunden im laufenden Monat aus.
Einerseits hat der Betrieb nicht beachtet, dass Ferien nicht mit dem Stundenlohn ausbezahlt werden dürfen (Art. 329 Abs. 2 OR (4) und Art. 35 GAV (5) Schreiner, statt vieler). Somit sind die Ferien bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten nochmals auszubezahlen. (6)
Andererseits hat der Betreib Überstunden ausbezahlt, weil die im GAV festgelegte Arbeitszeit in der Regel Bruttoarbeitszeit ist. So auch in den beiden oben abgebildeten GAV Artikeln.
Dies kommt daher, weil Bruttoarbeitszeit Ferien und Feiertage enthält und folglich höher als die Nettoarbeitszeit ist. Die Nettoarbeitszeit entspricht der effektiv gearbeiteten Arbeitszeit.
Gehen wir von einem Schreinerbetrieb und einem Arbeitnehmenden mit 23 Tage Ferien sowie 9 Feiertage, wovon 7 auf einen Werktag fallen, aus. So wurden 249 Überstunden (30*8.3h) erarbeitet. Auf diese 249 Überstunden hat der Betreib noch einen Zuschlag zu bezahlen, wenn die Überstunden ausbezahlt werden. Durch die monatliche Auszahlung der gearbeiteten Stunden wurden die Überstunden ausbezahlt und können nicht nachträglich noch kompensiert werden.
Auch diese Verfehlung sollte im Rahmen einer GAV Lohnbuchkontrolle oder eines arbeitsrechtlichen Rechtstreites festgestellt werden.
Sind Sie sich stets der Tragweite von Art. 321c Abs. 2 OR in Verbindung mit Art. 361 OR und der im GAV vorgeschriebener Bruttoarbeitszeit bewusst, um Ihre Kunden oder Ihr Betrieb von unliebsamen Überraschungen zu schützen.
Art 321c OR
1 Wird gegenüber dem zeitlichen Umfang der Arbeit, der verabredet oder üblich oder durch Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt ist, die Leistung von Überstundenarbeit notwendig, so ist der Arbeitnehmer dazu verpflichtet, als sie zu leisten vermag und sie ihm nach Treu und Glauben zugemutet werden kann.
2 Im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer kann der Arbeitgeber die Überstundenarbeit innert einem angemessenen Zeitraum durch Freizeit von mindestens gleicher Dauer ausgleichen.
3 Wird die Überstundenarbeit nicht durch Freizeit ausgeglichen und ist nichts anderes schriftlich verabredet oder durch Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt, so hat der Arbeitgeber für die Überstundenarbeit Lohn zu entrichten, der sich nach dem Normallohn samt einem Zuschlag von mindestens einem Viertel bemisst.
BGE 123 III 84
Art. 357 Abs. 2 OR
Abreden zwischen beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die gegen die unabdingbaren Bestimmungen verstossen, sind nichtig und werden durch die Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrages ersetzt; jedoch können abweichende Abreden zugunsten der Arbeitnehmer getroffen werden.
Art. 329d Abs. 2 OR
Die Ferien dürfen während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht durch Geldleistung oder andere Vergünstigungen abgegolten werden.
Art. 329 d Abs. 2 OR ist ein absolut zwingender Artikel nach art. 361 OR. Folglich darf der GAV oder ein Einzelarbeitsvertrag nicht von diesem Wortlaut abweichen.
Art. 35 GAV Schreiner
Die Ferien dürfen während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht durch Geldleistung oder andere Vergünstigung abgegolten werden. Vorbehalten bleibt die Abgeltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
BGE 129 III 493